Vom Wert der Arbeit
Der Tag der Arbeit hat in diesem Jahr eine besondere Note. Klar, es geht um gute Arbeitsbedingungen, Inflationsausgleich oder um die Zukunft der Industrie in den Zeiten hoher Energiepreise. Aber inzwischen geht es auch um ein Mega-Thema, das uns auf lange Zeit begleiten wird: Wo kommen die qualifizierten Fachkräfte her, die wir schon jetzt dringend brauchen? Und was ändert sich damit auf dem Arbeitsmarkt? Wer eine qualifizierte Ausbildung hat, ist sich des eigenen Wertes sehr wohl bewusst und kann bei Einstellungsgesprächen mit klaren Forderungen aufwarten. Das ist ein ganz grundlegender Wechsel der Vorzeichen auf dem Arbeitsmarkt.
Arbeit hat für mich persönlich immer eine ganz besonders hohe Bedeutung gehabt. In den Berufen und Ämtern, in denen ich tätig war, hatte ich sinnvolle Aufgaben, die mich gefordert, aber auch zufrieden gemacht haben. Vielleicht habe ich es insgesamt mit dem Anteil von Arbeit etwas übertrieben, aber meinem Wohlbefinden hat’s nicht geschadet. Und so wie mir geht es mit Sicherheit auch vielen anderen Menschen, für die ihre Arbeit ein nicht weg zu denkender Teil ihres Lebens ist. Selbstverständlich ist diese Haltung aber schon lange nicht mehr.
Das gilt umso mehr, als immer stärker ein Wertewandel zum Ausdruck kommt. In Deutschland hatte Arbeit immer einen besonders hohen Stellenwert, sie verschaffte nicht nur die Mittel zum Lebensunterhalt, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung. Im Ausland ist der deutsche Fleiß neben der Pünktlichkeit geradezu ein Markenzeichen für das Verhalten der Deutschen gewesen. Genau diese Einstellung versehen jetzt zunehmend mehr und vor allem junge Menschen mit einem Fragezeichen. Nicht mehr die Arbeit, sondern das Privatleben steht an an der ersten Stelle. Die Work-Life-Balance wird für viele ein maßgeblicher Faktor für den eigenen Lebensstil. Über die Folgen berichten immer mehr Unternehmen und Betriebsräte: Eine Ganztagsstelle okay, aber bitte mit fünf Tagen home-office. Oder Berufsanfängerinnen und ‑anfänger, die sich nur noch für Teilzeit-Stellen interessieren.
Ich gebe zu, dass ich mit dem Begriff der Work-Life-Balance so meine Probleme habe, dieser ausdrücklichen Unterscheidung von Arbeit und Leben. Wenn das stimmt, verbringen die meisten von uns einen großen Teil ihrer Lebenszeit außerhalb ihres Leben – eine ziemlich schreckliche Vorstellung, finde ich. Vor allem bei sehr belastender Arbeit und erst recht in Ausbeutungsverhältnissen wird das leider so sein, aber die meisten Beschäftigten werden ein positiveres Bild von ihrer Arbeitszeit haben, ihre Arbeit sinnvoll finden und ihre Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen und anderen Menschen für wichtig halten. Je besser die Arbeitsbedingungen sind, um so mehr fallen diese Aspekte von Selbstverwirklichung und sozialen Bedürfnissen ins Gewicht.
Und es kommt noch etwas anderes hinzu: In Deutschland haben wir einen im internationalen Vergleich weit überdurchschnittlichen Wohlstand und unser Gemeinwesen ist in der Lage, viele öffentliche Angebote vorzuhalten und Menschen in Notlagen zu unterstützen. Das ist das Ergebnis einer großen gemeinsamen Leistung von unendlich vielen Menschen in unterschiedlichen Generationen und einer ausgeprägten individuellen Leistungsbereitschaft. Auf Dauer wird es ohne diese Grundlagen kaum funktionieren – auf Rohstoffe und andere natürliche Wohlstandsfaktoren kann Deutschland nun einmal nicht zurückgreifen.
Kurz gesagt: Der Tag der Arbeit 2023 ist auch eine gute Gelegenheit, die Bedeutung von guter Arbeit hervorzuheben – für uns persönlich und für uns alle gemeinsam.
Ich wünsche Euch eine gute Woche.