Das Morden in der Ukraine geht weiter, Millionen von Menschen sind mittlerweile auf der Flucht und die Bilder von dem Krieg in der Urkaine sind von Tag zu Tag quälender.
Immer stärker wird auch das Bewusstsein dafür, was Putin weit über die Ukraine hinaus angerichtet hat. Wenn zum ersten Mal Sorgen wegen der Energieversorgung bestehen, wenn zum ersten Mal ernsthaft über den Einsatz von „kleinen“ Nuklearwaffen diskutiert wird, wenn Menschen in anderen Erdteilen Angst haben müssen vor Hungersnöten , dann handelt es sich um Beispiele dafür, wie gefährlich die Situation ist.
In der letzten Woche ist an den einhundersten Geburtstag von Egon Bahr erinnert worden, dem großen Architekten der deutschen Ostpolitik der siebziger Jahre. Seine Ostpolitik ist bis vor kurzem auch die Grundlage der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geblieben, über alle Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler hinweg von Willy Brandt bis Angela Merkel. Ich wüsste gerne, was Egon Bahr uns heute raten würde. Die Anerkennung bestehender Grenzen war ein Pfeiler seines Konzepts, aber auch der ständige Dialog insbesondere zwischen Deutschland und Russland.
Diese Politik hat über Jahrzehnte hinweg in weiten Teilen die wechselseitige Sicherheit in Europa gewährleistet. Warum ist das jetzt nicht mehr der Fall? Bahr hatte es mit russischen Gesprächspartnern zu tun, die bei allem Hegemonialstreben der damaligen UdSSR aus eigener Erfahrung wussten, was Krieg bedeutet. Und zum anderen ging es ihnen vor allem um die Absicherung des eigenen Herrschaftsbereiches, aber ohne dass damit ein besonderes Sendungsbewusstsein verbunden gewesen wäre. Der Sozialismus sowjetischer Bauart hatte schon längst keine Strahlkraft mehr.
Ein halbes Jahrhundert später liegen die Dinge anders. Putin pfeifft erkennbar auf alle Vereinbarungen und Abkommen, für ihn sind Grenzen souveräner Staaten alles andere als unantastbar. Und immer klarer wird auch seine ideologische Triebfeder – eine merkwürdige Mischung aus historischen, ethnischen und imperialistischen Elementen. Putin bezieht sich auf den Kiewer Rus, ein ostslawisches Großreich, das vor weit über tausend Jahren gegründet wurde und etwa das Gebiet des heutigen Russland, der Urkaine und Weißrussland umfasst hat. Diese historische Periode ist für ihn der ideologische Ausgangspunkt für die Einheit der ostslawischen Völker mit Russland in der Führungsrolle.
Das ist das Gegenteil von rationaler Politik und etwa so, wie wenn heute deutsche oder französische Politiker das Reich Karl des Großen wiederbeleben wollten. Es ist im Kern völkisches Denken, um es auf den Punkt zu bringen. Zu welchen Konsequenzen ein solches Denken führt, sehen wir derzeit jeden Tag im Fernsehen.
Lag Egon Bahr also falsch? Ganz im Gegenteil, seine Politik hat sich jahrzehntelang bewährt, so lange beiderseits weitgehend die Vernunft regiert hat. Genau das ist bei Putin aber ganz und gar nicht mehr der Fall und deswegen wird der Westen auch einen neuen Umgang mit dieser russischen Regierung finden müssen. Wahrscheinlich ist das zu spät erkannt worden – vom Westen, von der Bundespolitik, aber ich nehme mich da auch persönlich nicht aus.
Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist noch sorgfältig zu diskutieren, aber ganz sicher muss es eine sehr konsequente Politik sein. Mehr Mittel für die Ausstattung der Bundeswehr, sehr harte Wirtschaftsmaßnahmen und Waffenlieferungen in die Ukraine sind aber schon mehr als ein Fingerzeig , dass uns eine Phase der Konfrontation erwartet.
Und gleichzeitig muss die Hand gegenüber dem russischen Volk ausgestreckt bleiben. Wir haben auch in der Zukunft ein großes Interesse an einem guten Verhältnis zu unseren Nachbarn. Aber dafür wird eine Veränderung in Russland unabdingbar sein, mit Nationalismus und Imperialismus kann man keine Partnerschaft pflegen.
Ich wünsche Euch eine schöne Woche.