Zu den ganz großen politischen Themen in diesem Jahr gehört mit Sicherheit eines, dass schon seit vielen Jahren auf eine Lösung wartet. Als sich im September 2015 viele hunderttausend Menschen vor allem aus den Kriegs- und Krisengebieten des Mittleren Ostens auf den Weg nach Deutschland gemacht haben, war der deutsche Staat erkennbar überfordert und nur die riesige Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung verhinderte, dass die Situation außer Kontrolle geriet. „Das darf uns nie wieder passieren“, hieß es damals oft und „Wir brauchen eine europäische Lösung“.
Wie sieht es fast acht Jahre später aus? Im letzten Jahr sind über eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, aber das ist nicht alles. Parallel steigt auch die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern deutlich an – alleine in den ersten vier Monaten diesen Jahres waren es etwa achtzigtausend Menschen und die warmen Sommermonate, in denen die Zahlen erfahrungsgemäß stark steigen, kommen erst noch. Über dreihunderttausend Menschen könnten es am Jahresende sein, so wird geschätzt, und das wäre die höchste Zahl seit 2016. Beide Entwicklungen setzen vor allem die Kommunen stark unter Druck, denn dort müssen Unterkünfte bereitgestellt werden und stehen große Integrationsaufgaben an.
Wie kann eine Perspektive aussehen? Genau genommen geht es um drei schwierige Aufgaben gleichzeitig:
Schutz gewährleisten
An einem dürfen wir nicht rütteln: Wer verfolgt ist, muss in Deutschland Schutz finden und zwar unabhängig davon, ob es um Herkunft, Geschlecht, politische Meinung oder Religion geht. Es hat seinen guten Grund, dass das Asylrecht ein Grundrecht ist, auch Deutsche haben diesen Schutz in der Geschichte schon oft in Anspruch nehmen müssen. Was heißt das heute? Die Mehrzahl der Asylgesuche sind am Ende erfolgreich, vor allem aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan. Diese Menschen müssen auch in Zukunft Zugang nach Europa und Deutschland haben können und Unterstützung bei der Integration.
Illegale Zuwanderung stoppen
Viele habe ein Schutzrecht, aber beileibe nicht alle. Die anderen haben sicher verständliche Gründe dafür, warum sie ihre Heimat verlassen wollen. Zu den Erfahrungen vor acht Jahren zählt allerdings auch die Lehre, dass eine unbegrenzte Zuwanderung unser Land überfordert und Deutschland nicht stellvertretend ein europäisches Problem lösen kann. Deswegen führt kein Weg darum herum, gegen illegale Zuwanderung konsequent anzugehen.
Legale Zuwanderung möglich machen
Eines ist heute entschieden anders als vor acht Jahren: Deutschland braucht Zuwanderung, vor allem qualifizierte Zuwanderung für unseren Arbeitsmarkt, wo ein immer größerer Mangel an Fach- und anderen Arbeitskräften besteht. Es geht also nicht nur darum, illegale Zuwanderung zu verhindern, sondern auch legale Zuwanderung möglich zu machen. In dieser Hinsicht gibt es gerade spürbare Fortschritte, denn die Pläne von Nancy Faeser und der Bundesregierung („Punktesystem“) klingen wirklich vernünftig.
Hinter allen diesen Überschriften stecken schwierige Einzelthemen, vom Asyl-Verfahren schon bei Grenzübertritt bis hin zur stärkeren Absicherung auch der deutschen Grenzen. Aber die wichtigste Frage lautet: Gelingt diesmal eine Einigung innerhalb der EU, vor allem auch eine gerechte Verteilung zwischen den einzelnen EU-Staaten? Ohne eine solche Verständigung würde das Konzept in wichtigen Aspekten wieder nur Stückwerk bleiben. Immerhin haben inzwischen wesentlich mehr EU-Mitglieder dieselben Zuwanderungsprobleme, mit denen sie alleine überfordert sind, und damit auch ein eigenes Interesse an Fortschritten.
Gelingt es, auf dieser Grundlage ein neues Konzept für die Migration nach Deutschland und Europa zu etablieren, gäbe es große Parallelen mit dem Vorgehen in Kanada, das weltweit als besonders erfolgreich gilt. Eine wirklich gute Alternative ist jedenfalls ansonsten nicht in Sicht für die Lösung eines Problems, das uns in diesem Jahr noch viel Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Man kann der Bundesregierung bei diesem Vorhaben also nur viel Erfolg wünschen.
Ich wünsche Euch eine gute Woche.