In Niedersachsen geht die politische Sommerpause langsam, aber sicher zu Ende. Ab der nächsten Woche ist mein Terminkalender wieder rappelvoll und das ist schon mal ein sicheres Zeichen. Dafür war es in den letzten Wochen aber auch spürbar ruhiger und ich hatte mal wieder Zeit, ausgiebig zu lesen. Herausgekommen sind meine Top-3-Sommerbücher für dieses Jahr, die ich Euch empfehlen kann. Es sind diesmal Erzählungen aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt und verschiedenen Zeiten, aber gleichermaßen unterhaltsam und oft auch komisch. Genau richtig, um mal runterzukommen und zu entspannen:
Percival Everett, James, Hanser-Verlag 2024
Die “Abenteuer des Huckleberry Finn” von Mark Twain werden viele von Euch kennen, ein echter Klassiker der US-Literatur: Ein (entlaufener) Junge und ein (entlaufener) Sklave tun sich in den amerikanischen Südstaaten kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges zusammen und bestehen auf ihrer Flucht etliche Abenteuer. An der Geschichte hat sich nicht so viel geändert, aber Percival Everett schreibt sie neu aus der Perspektive des Sklaven Jim, der auf der Flucht zu James wird. Aus diesem Perspektivwechsel wird ein spannendes Abenteuerbuch, das den Vergleich mit dem Original nicht scheuen muss und am Ende aber vor allem auch eines ist – eine knallharte Abrechnung mit dem Rassismus. Mein Lieblingsbuch in diesem Sommer!
Barbara Kingsolver, Demon Copperfield, dtv, 2024
Interessanterweise das gleiche Prinzip, aber die Geschichte spielt in der Gegenwart und viele Meilen nördlicher in den Wäldern von Virginia: Ebenso wie David Copperfield, der berühmte Romanheld von Charles Dickens, muss sich auch Demon Copperhead von Anfang an durchbeißen. Allerdings in der Welt der Trailer, in einer drogenverseuchten Umgebung und ohne jede Zuwendung. Nach einer wahren Odysee mit vielen Rückschlägen, Kurven und Schleifen schafft Demon – ganz wie David Copperfield – aber dann doch den Ausbruch und für sich eine Zukunft als erfolgreicher Comic-Autor. Wir werden im Herbst viel aus den USA hören, das ist schon einmal vorab eine literarische Beschreibung von sozialen Verhältnisse, die Trump überhaupt erst denkbar erscheinen lassen. Zugegeben, es sind etwa 850 Seiten zu lesen, aber das geschieht ruckzuck und mit großem Gewinn!
Yaniv Iczkovits, Fannys Rache, Unionsverlag, 2024
Eine ganz andere Ecke der Welt, eine ganz andere Kultur: Im vor allem jüdisch geprägten Westteil der heutigen Ukraine vor etwa 200 Jahren macht sich der Ehemann von Mende Speisman aus dem Staube und lässt seine Frau in tiefer Verzweiflung zurück. Ihre Schwester Fanny, die tiefe Entschlossenheit mit einer meisterhaften Beherrschung des Messers verbindet, macht sich auf dem Weg, den weggelaufenen Ehemann zurückzubringen. Am Ende entsteht daraus ein komplettes Chaos, das bis in die höchsten Kreise des russischen Zarenhofes hineinreicht. Eine ebenso witzige wie aberwitzige Geschichte, die einem auch das Leben in den von den Nationalsozialisten vernichteten und untergegangenen Schtetl der osteuropäischen Juden nahebringt. Für mich eine echte Entdeckung.
Und sonst noch? Vielleicht “60 Kilo Kinnhaken” von Hallogrimur Helgasonn und dem grimmigen isländischen Winter als Alternative zu heißen Sommertagen? Oder den “Zauber der Stille” von Florian Illies für die Fans von Caspar David Friedrich (ich bin einer)? Oder vielleicht doch der “Zauberer” von Colm Toibin, das Leben von Thomas Mann als Roman – für mich der Anstoß, doch mal wieder Mann zu lesen. Jedenfalls bietet der Literatur-Sommer 2024 wirklich viele interessante Angebote zur Lektüre, finde ich.
Und was sind Eure Tipps? Ich freue mich auf Eure Anregungen und wünsche Euch eine gute Zeit!