Der Krieg, das Sterben und das Elend in der Ukraine gehen unvermindert weiter und bald in die dritte Woche. Immer mehr Menschen müssen ihre Heimat verlassen und sich mit ein paar Habseligkeiten auf die Reise in eine ungewisse Zukunft machen. Über 2,5 Millionen Menschen sind es bis jetzt, jeden Tag werden es mehr und niemand weiß, wie viele sich noch auf diesen Weg machen müssen. Schätzungen internationaler Organisationen gehen jedenfalls von mehreren Millionen Flüchtender aus.
Die meisten von ihnen haben derzeit Polen als Ziel und es ist beeindruckend, mit welcher Hilfsbereitschaft die Menschen in Polen darauf reagieren. Aber auch bei uns kommen immer mehr Menschen aus der Ukraine an – wie viele, das kann derzeit allerdings niemand sagen. Dafür gibt es einen Grund, der die jetzige Situation grundlegend von der im Herbst 2015 unterscheidet: Wer aus der Ukraine nach Deutschland kommt, hat rechtlich betrachtet einen Gäste-Status und kann sich drei Monate in der Bundesrepublik ohne jede Meldepflicht aufhalten. Das war vor sechseinhalb Jahren anders, damals mussten alle, die zu uns kamen, einen Asylantrag stellen.
Und es gibt noch einen großen Unterschied: Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer, die bis jetzt gekommen sind, hatten private Anlaufstellen durch Verwandte oder Bekannte, viele sind auch von Niedersächsinnen und Niedersachsen ohne freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen spontan bei sich privat aufgenommen worden. Diese Aufnahmen im privaten Bereich sind für die Geflüchteten natürlich die beste Lösung. Auch sie alle werden sich sicher über kurz oder lang bei den Behörden melden, wenn sie die eine oder andere Unterstützung brauchen. Aber ein Gesamtüberblick ist dennoch nötig und auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am Donnerstag wird das sicher eines der wichtigsten Themen sein.
Aber trotz der unvollständigen Grundlagen ist eines offenkundig: Wir stehen inmitten einer weiteren riesigen Herausforderung, denn es dürfte sich bis jetzt nur um die ersten einer viel, viel größeren Zahl von Geflüchteten handeln. Noch etwas ist offenkundig – die überwältigende Hilfsbereitschaft bei uns in Niedersachsen. In Hannover ist in Windeseile am Messe-Bahnhof ein Verteilzentrum für ganz Deutschland entstanden, um den Hauptbahnhof in Berlin zu entlasten. Auf dem Messegelände selbst sind schon einige der großen Messehallen mit Zeltdörfern belegt, um gegebenenfalls als Unterkünfte zur Verfügung zu stehen. In Verden werden Container-Unterkünfte vorbereitet, Krankenhäuser versorgen Verletzte aus der Ukraine und vor allem stellen, wie gesagt, viele Bürgerinnen und Bürger die eigene Wohnung für die Geflüchteten zur Verfügung. Es gibt landauf, landab viele gute Beispiele und ich möchten mich sehr herzlich bei allen bedanken, die sich engagieren.
In Niedersachsen waren wir schon 2015/ 2016 gute Gastgeber, die Menschen in Not als Gäste empfangen haben. Ich bin sicher, das wird im Jahr 2022 wieder so sein. Gerade in Niedersachsen sind Flucht und Vertreibung Teil von den meisten Familiengeschichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in kurzer Zeit zweieinhalb Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten in die norddeutsche Tiefebene und wurden ein wesentlicher Teil Niedersachsens. Viele alte Menschen berichten davon bis heute und geben uns ein Gefühl dafür, was es heißt, die eigene Heimat zu verlieren.
Niedersachsen ist mitfühlend und engagiert sich. Aber noch etwas haben wir vor einigen Jahren gelernt: Dass wir diese Haltung nicht nur unter dem Eindruck aktueller Ereignisse zeigen, sondern sie auch durchhalten müssen. Wie lange die Menschen aus der Ukraine bleiben werden, weiß niemand von uns, aber niemand sollte von einer kurzen Episode ausgehen. Wir werden einen langen Atem brauchen.
Ich wünsche Euch eine gute Woche.