Und sie bewegt sich doch: Nach vielen Jahren und unendlich vielen fruchtlosen Diskussionen sieht es so aus, als könnte sich die Europäische Union auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen. Jedenfalls haben sich die Innenministerinnen und ‑minister auf ein Konzept verständigt: Im Mittelpunkt stehen die beschleunigte Durchführung von Asylverfahren an der europäischen Außengrenze für Menschen aus Ländern mit niedrigen Schutzquoten und eine gerechte Verteilung der anderen Schutzsuchenden auf die EU-Mitglieder. Länder, die sich an einer solchen Verteilung nicht beteiligen, sollen als Ausgleich Finanzbeiträge leisten. So weit war die EU noch nie.
Im Grunde ist es eine Weiterentwicklung eines Konzepts von „sicheren Herkunftsstaaten“, das wir auch in Deutschland kennen, das aber bei uns auch immer umstritten geblieben ist. Dabei muss man wissen, dass etwa Dreiviertel aller Asylanträge in Europa von Menschen gestellt werden, in deren Heimat es eine sehr schlechte Menschenrechtslage gibt. Diese Menschen haben deswegen eine gute Aussicht mit ihrem Asylantrag Erfolg zu haben, Menschen aus Syrien und Afghanistan allen vorneweg.
Für Deutschland ist es von besonderer Bedeutung, endlich die Chance auf eine europäische Lösung zu haben. Die allermeisten EU-Länder haben eine deutlich restriktivere Asyl-Politik als die Bundesrepublik mit dem Ergebnis, dass besonders viele der in Europa Schutzsuchenden in Deutschland ankommen. Seit den Jahren 2015/2016 wissen wir aber, dass bei allem guten Willen Deutschland und wenige andere EU-Mitglieder komplett überfordert sind, ein europäisches Problem gewissermaßen stellvertretend zu lösen. Und die Aufnahmebereitschaft in unserem Land ist – auch wegen der vielen anderen Herausforderungen, vor denen wir stehen – heute sicher geringer als damals.
Also alles gut? Beileibe nicht. So wichtig der Grundsatzbeschluss aus Brüssel ist, so viele wichtige Fragen sind derzeit offen. Nur eine kleine Auswahl: Wer genau werden denn die Länder sein, für die die Grenzverfahren angewendet werden? Wie wird sichergestellt, dass die Verfahren an der europäischen Außengrenze schnell und rechtsstaatlich erfolgen? Wie können schlimme Bedingungen wie in bestehenden Auffanglagern von Anfang an ausgeschlossen werden? Die schrecklichen Zustände aus Moria dürfen sich nicht wiederholen. Wie kann auf Familien mit Kindern Rücksicht genommen werden? Und wie wird eine wirklich gerechte Verteilung in Europa sichergestellt? Wie gesagt, das ist nur eine kleine Auswahl der schwierigen Fragen, die noch auf überzeugende Antworten warten.
Und deswegen ist es auch noch zu früh für eine abschließende Bewertung. So weit war die EU noch nie auf dem Weg zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik, aber am Ziel ist sie mit Sicherheit auch noch nicht. Ein bemerkenswerter Fortschritt ist der Beschluss aus der letzten Woche jedoch allemal und es lohnt sich, engagiert an überzeugenden Antworten auf die noch offenen Fragen zu arbeiten.
Ich wünsche Euch eine gute Woche.