„Amerika, Du hast es besser …“
…dichtete Johann Wolfgang von Goethe einst und schwärmte von all den Vorzügen, die die „Neue Welt“ gegenüber Europa hätte. Nach den Erfahrungen der letzten Woche würde das Gedicht wohl anders ausfallen, nehme ich an. Ein Präsident, der die Auszählung der Stimmen stoppen will, bevor alle Stimmen gezählt sind – Waffengeschäfte, die in den letzten Wochen vor der Wahl Rekordumsätze melden – eine tagelange quälende Auszählungsprozedur – die Aussicht auf eine Flut von Gerichtsverfahren – Wahlbetrugsvorwürfe ohne einen einzigen vernünftigen Grund – und und und. Aber vielleicht ist das Schlimmste zwei fast gleich große Teile der Gesellschaft, die sich politisch nicht als Gegner, sondern als Feinde gegenüberstehen.
Vor diesem Hintergrund sind auch außerhalb der USA viele Menschen einfach nur erleichtert und glücklich über das Ergebnis und genau so geht‘s mir auch. Dieses Resultat ist alles andere selbstverständlich – herzlichen Glückwunsch, Joe Biden und Kamala Harris! Und herzlichen Dank dafür, dass sich beide für die Demokratie in diese brutale Auseinandersetzung hineinbegeben haben! Und viel Erfolg bei der vielleicht schwierigsten Aufgabe der nächsten Jahre, diese zerrissene Nation wieder zusammenzuführen!
Vielen von uns hat es in den letzten Tagen geradezu gegruselt bei den Berichten rings um die Präsidentschaftswahlen. Was können wir in Deutschland daraus lernen? Auf den ersten Blick nicht viel, denn von solchen Verhältnissen wie in den USA sind wir im Moment wirklich weit entfernt. Aber das ist keine Garantie für die Zukunft, denn auch bei uns ist das Gift des Rechtspopulismus spürbar.
Natürlich ist die politische Kultur in Deutschland eine andere als in den USA. Manches, was uns selbstverständlich bis zur Langeweile erscheint, fehlt dort in einem erschreckenden Ausmaß – die unbedingte Anerkennung von demokratischen Spielregeln durch alle Akteure, der gegenseitige Respekt auch unter politischen Gegnern, die Ächtung von Lügen. Das alles mag auch bei uns nicht immer und überall eingehalten werden, im Großen und Ganzen aber doch. Und dann ist da noch etwas ganz Wichtiges: Die Bereitschaft zur Gemeinsamkeit und auch zum Kompromiss ist nach meinem Empfinden ein ganz großer Vorteil für ein Land.
Die politische Kultur alleine erklärt aber nicht den Aufstieg des Trumpismus bis hin zu einer echten Gefahr für die Demokratie in den USA. So merkwürdig das mit Blick auf einen Milliardär klingt, Trumps Bewegung ist nach der Beobachtung vieler Experten vor allem eine Bewegung gegen das Establishment in der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft insgesamt. Viele Menschen in den USA haben offenbar das Gefühl, dass es für sie und ihre Interessen keinen Respekt, keinen Einsatz und am Ende auch keine Chance gibt.
Solche Gefühle sind auch zahlreichen Bürgern in Deutschland nicht fremd, wie wir wissen. Wenn wir in unserem Land von amerikanischen Verhältnissen derzeit weit entfernt sind, gibt uns das zwar keine Gewähr für die Zukunft, aber jedenfalls die Chance, es besser zu machen. Was wir am Sozialstaat haben, kann man zum Beispiel gut am Vergleich zwischen der Politik in den USA und in Deutschland während der Pandemie sehen.
Nach der Wahl in den USA überwiegt bei den meisten von uns eine riesengroße Erleichterung. Aber ziehen wir auch selbst die richtigen Lehren daraus – die Errungenschaften der Demokratie in unserem Land zu bewahren und auszubauen!
Ich wünsche Euch eine gute Woche.